Drone Records
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WILKEN, ANSGAR - The last we can do is wave to each other

Format: LP
Label & Cat.Number: Econore - ECO_289
Release Year: 2024
Note: the very first LP by the idiosyncratic "East Frisian in exile" (Berlin) artist, a wonderful amalgam of free percussive handplayed music and drones.. - "Der aktuelle Moment und die vorhandenen Materialpotenziale überrumpeln hier viele Gepflogenheiten. Musik eher herunterpflücken als hervorbringen..." + "This Lp is one of the highlights of 2024, the soundstage is MIND BLOWING. This belongs to the category of unheard-of music" [Williblake] - highly recommended !!
Price (incl. 19% VAT): €20.00


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Percussion und Kleinstpercussion. Wohltemperiertes Geschepper, Klopfen, Gedengel. Beats, Crescendos, feine Feedbacks, Obertöne, Drones. Den Filzschlegel auf dem Trommelfell aushoppeln lassen wie einen heruntergefallenen Tischtennisball. Eine Blechschüssel als Resonanzschatztruhe verwenden – oder das Cello als Schlagzeug. Der aktuelle Moment und die vorhandenen Materialpotenziale überrumpeln hier viele Gepflogenheiten. Musik eher herunterpflücken als hervorbringen; das Richtige erkennen, wenn es einem zufliegt. Geräuschen und Klangspektren nachgehen, sich in aufkommende Rhythmen hineinbegeben, von einem Grund-Drone ausgehend, welcher als Basis des Geklöppels nicht unbedingt hör-, aber stets spür- oder dazudenkbar ist.
Ansgar Wilken benutzt ein so simples wie weitreichendes Klangerzeugungsarsenal, darunter auch Gegenstände und Utensilien, deren inhärente Sounds zuweilen geradezu computergeneriert klingen. Ob (oder wo und wie hier welche Art von) Elektronik zum Einsatz kommt, ist oft schwer zu ermitteln, allein schon, weil der Musiker selbst etwas unter Strom steht und beim Spielen unversehens maschinellen Rhythmen verfallen kann. Wilkens Geklöppel öffnet musikalische Welten, in denen statt Virtuosität Stimmigkeit herrscht und das rastlose Ausloten von Bewegungsablauf und Sound fortwährend eine glimmende Intensität freisetzt. Stil ist nicht etwas, das dieser Musiker anstrebt, sondern lediglich etwas, das er nicht ganz abschütteln kann.
Wenn Ansgar Wilken, ein hagerer, großgewachsener Mann mit lapidarem Schnurrbart, auf einem Barhocker vor einem sitzt, wirkt er wie ein desillusionierter britischer Air-Force-Offizier aus einem Film Noir. Ein in die Welt Geschleuderter, der sich stoisch treu bleibt beim aufmerksamen Eingehen auf neue Umgebungen und Situationen: eine starke Präsenz ohne jegliche Egozentrik. Da verwundert es nicht, dass auf dem Cover der vorliegenden Platte der Künstler gewissermaßen persönlich wird, aber selbst nicht zu sehen ist. Zu sehen ist sein Vater, das saubere Hemd und die dünne Sonntagsstoffhose vom Wind leicht aufgeplustert, in einer ruhigen Gartenszene mit zentraler Posaune.
Doch kurz zurück zum Barhocker: Ein Barhocker, auf dem Wilken manchmal sitzt, hat seinen Platz hinter dem DJ-Pult des Madame Claude, eines Berliner Etablissements, wo buchstäblich, die Getränkekarte eingeschlossen, alles Mögliche kopfsteht. Wer in der Lage wäre, das Gesetz der Schwerkraft erfolgreich zu ignorieren, könnte sich hier auf Stühlen und an Tischen niederlassen, die umgedreht unter die Decke geschraubt sind. Was zunächst wie ein Einrichtungsgimmick für touristische Laufkundschaft erscheinen mag, verschiebt sich bei passender Musik, Gesellschaft und Getränkeauswahl schneller ins Magische als man denkt – spätestens sobald Berlinbesuchende ohne konkrete Underground- Improvavantgardevorkenntnisse dem DJ abstrakte Fachfragen stellen, die Wilken eingehend beantwortet.
Der Eingang dieser unterirdischen Bar befindet sich eine halbe Treppe über dem Straßenniveau. Der Hinterraum, dessen Zugang man von der Bar (also dem Untergeschoss) aus erreicht, indem man ein paar Stufen hinaufgeht, ist ein Konzertkeller, der tiefer liegt als die Bar. In diesem mit hervorragenden Tontechnikern ausgestatteten Konzertraum hat auch Wilken schon öfter gespielt, solo oder in kurzfristigen Konstellationen mit verschiedenen Musiker(inne)n oder einem Chor, wie auch mit seiner derzeitigen festeren Band, Itchy Spots.
Nun wieder zur Gartenszene: Ganz so ruhig und idyllisch ist das alles vielleicht doch nicht. Bäumchen, Gestrüpp, der tiefdunkle Teich ... mittelviel krause Minilandschaft umgibt den Posaunisten mit dem aufgeräumten Gesicht. Im Hintergrund, wo der Himmel wäre, erstreckt sich von links bis rechts ein Scheunenziegeldach wie eine Wand vor der Luft. Wäre diese Landschaft ein Seelenzustand, würde der gut in die Coronazeit passen, zu der Wilkens Album entstand – und das Album wäre der Blechbläser in der Landschaft, der nicht mit Ansgar Wilken zu verwechseln ist.
Wo waren wir? Beim Album? – Das Album ist keine Coronalandschaft, obwohl die letzten drei Stücke, "The last we can do is wave to each other Part I - III", qua Titel Coronastücke sind und die gesamte Platte nach ihnen benannt ist. Oder bei Wilken? – Das allererste Stück, "I am Gay and you are not", schreibt "gay" mit voller Absicht groß. Oder der Musik? – "Language with Things" ist wohl Wilkens gerümpelmusiktheoretischer Spin auf die Sprechakttheorie ("How to Do Things with Words") – da für Wilken Dinge nicht erst getan werden müssen, sondern selbst eine aktive Komponente haben, also ihr Klang immer schon zu ihm spricht, ergibt sich für den Musiker eine andere Art von Handlungsbedarf, oder so ähnlich ist der Titel wohl aufzufassen; wir können hier nicht ins Detail gehen, weil dieser Satz dann aus logisch-performativen Gründen und unter dem hohen Eigengewicht klaren, konzisen Denkens kläglich zusammenbricht, während doch der weiter oben erwähnte aushoppelnde Filzschlegel das betreffende Stück derart bedeutungsvoll im Äther verankert!
Oder Bezügen? – "Today is a Killer" erinnert an Pan Sonic. Wilken ist Fan; wenn er auflegt, wird früher oder später eine Pan-Sonic-Platte auf dem Teller landen. Oder Tradition? – "Robert Johnson and the Blacks" skippt mit 2 (oder 3) Bezügen durch die Musikgeschichte: Robert Johnson, der legendäre Blues-Musiker – Kreuzung, Pakt mit dem Teufel usw.; James White and the Blacks, eine No-Wave-Band; Robert Johnson and the Browns, eine Noise-Rock-Band. – Noise/Avantgarde Rock aus den späten Achtzigern und frühen Neunzigern in der Tradition von This Heat haben Wilkens Umgang mit Sound und Rhythmik seinerzeit einen nicht zu unterschätzenden Schubs gegeben. Ein weiterer Evergreen in Wilkens DJ-Sets ist "in sisters all and felony", ein fulminantes Stück von Brise Glace, einer Band aus dieser Entwicklungslinie.
Oder waren wir bei der Posaune, die dem distanzierten Winken in "The last we can do is wave to each other" eine, auch aus größerer Entfernung, ziemlich direkte Kontaktaufnahme entgegenzutröten scheint? The first thing we can do is say “Hello!" to each other. Wohltemperiertes Geschepper, Klopfen, Gedengel. Beats, Crescendos, feine Feedbacks ... [Frank Geber]


https://econore.bandcamp.com/album/the-last-we-can-do-is-wave-to-each-other



"ANSGAR WILKEN The last we can do is wave to each other (Econore, ECO_289, LP): Nach einer Reihe von 7“s, selbstverlegt auf Happy Zloty und Ted Serious Music, kehrt der einstige Ilse Lau-Mann, sympathische DIY-Weitermacher und DJ @ Madame Claude in Berlin wieder auf Econore, wo 2021 auch schon eine C-60 mit Chris Dreier (von Die Tödliche Doris) und 2022 „Peace
News“ als C-10 herausgekommen sind. Nach dem halbwegs noch optimistischen 'We shall Overcome“ (2017) steigert die Anspielung auf „We're all awash in a sea of blood, and the least we can do is wave to each other“, ein durch Van der Graaf Generator unvergesslich gemachtes Zitat des schwulen Malers John Minton, sogar noch das 'The Least' zu 'The Last'. Wilken nahm das Zitat auch schon 2020 als Überschrift seiner multimedialen Soloausstellung (Risographie, Malerei, Zeichnung, Percussion, Animationsfilm) im Vorwerkstift, Hamburg. Durch den Posaune spielenden Pastoren-Vater auf dem Cover bereits eine persönliche Angelegenheit, scheinen 'I am Gay and you are not' als Einstieg und 'Today is a Killer', das unwillkürlich an Peter Hammills blutigen VdGGSong 'Killer' denken lässt, als Auftakt der B-Seite den Minton-VdGG-Bezug noch zu vertiefen. Ob
'This is Happy Place' dem widerspricht oder einen Schnurrbart anmalt, mag gern offen bleiben. Die
Anspielungen mit auch noch 'Robert Johnson and the Blacks' und meine subjektiven Reflektionen
zu all dem bleiben so oder so nur lose verbunden durch 'Language with Things'. Wilken spielt mit
Snare, Deko-Schalen aus dem 1-Euro-Laden, Metallophon, Kleinstpercussion, Gitarrenfeedback
und Studioequipment schnelle, insistent klappernde und wuppernd gemusterte Trommelrituale mit
'singenden' Obertönen. Er lässt metallisches Vibrato klirren und flirren und streut eine Handvoll
Schläge drüber. Er gibt Salven hohler Snareschläge ab auf sanft summendem Fond, gegen egal welche durch gay, happy oder black gekitzelte Erwartungen. Das setzt sich fort mit wirbeliger Rhythmik und beckensirrender Pea Soup. Und mit ein-zwei-dreitönigem Klacken, einem schneller geklopften Muster mit tropfigen und sirrenden Akzenten sowie einem ebenfalls schnellen Mallet-
Tänzchen. Da schlägt allenfalls das Toy Piano durch, das er bei Ilse Lau (neben der Gitarre) gepingt
hatte? Wilken hatte vor 10 Jahren schon mit „Solange ich kein Blut weine bin ich völlig unbesorgt“ eine stoische Einstellung und hat sich seine Lakonie offenbar nicht nehmen lassen."
[BAD ALCHEMY 125 rbd]